Der Förderverein VersicherungsMathematik im Bereich der Kraftfahrtversicherung, kurz VM4K, hat eine empirische Bachelorarbeit zur Telematik gefördert, die einen neuen Ansatz im Umgang mit Big Data beinhaltet. Die reellen Fahrdaten, die der Arbeit zugrunde liegen, stammen von den Itzehoer Versicherungen. Christoph Meurer, Generalbevollmächtigter der Geschäftsleitung der Itzehoer, im Gespräch.

Christoph Meurer, Generalbevollmächtigter der Geschäftsleitung der Itzehoer

Christoph Meurer im Gespräch: "Wir freuen uns, dass VM4K mit Hilfe unserer Daten neue Methoden erarbeiten konnte" (Bild: Itzehoer Versicherungen).

 

Herr Meurer, Sie haben als eines der ersten Unternehmen einen Telematik-Tarif aufgelegt und beteiligen sich, über eine versicherungsfachliche Begleitung und das Bereitstellen von Daten, an Grundlagenforschung. Warum?

Wir sind daran interessiert, Trends frühzeitig zu beobachten und dabei die Auswirkungen auf die Kfz-Versicherer im Blick zu haben, besonders für den Bereich der Tarifierung. Allerdings mussten wir feststellen, dass Telematik-Produkte nicht so stark nachgefragt sind wie erhofft und haben daher die Telematik-Tarife wieder aus dem Programm genommen. Doch all das, was wir beim Aufsetzen des Prozesses geleistet haben – das Aufbauen der Services und die Installation der Hardware –, sind wertvolle Erfahrungen. Auch die Daten, die wir in einer Pionierleistung über zweieinhalb Jahre mit mehreren tausend Einheiten erhoben haben, sind kostbar. Es ist sehr wünschenswert, sie auszuwerten. Nur wie? Die bisherigen Verfahren können diese Datenmassen nicht verarbeiten. Nötig ist Grundlagenforschung. Unsere Mitarbeiter*innen sind mit dem klassischen Tagesgeschäft ausgelastet. Daher freuen wir uns, dass VM4K mit Hilfe unserer Daten nun neue Methoden erarbeiten konnte, indem er eine Bachelorarbeit der Hochschule Koblenz/RheinAhrCampus Remagen gefördert hat, bei der die Daten der Itzehoer Versicherungen als Grundlage dienten.

Welchen Nutzen können Sie aus den bisherigen Forschungsergebnissen für die Praxis umsetzen bzw. sind denkbar?

Ganz wesentlich finde ich zunächst die Erkenntnis, mit welchen Ansätzen es möglich ist, derart große Datenmassen zu beherrschen. Die Methoden lassen sich auch auf andere Bereiche übertragen, wie etwa Wettbewerbsanalyse und Untersuchungen von Kündigungsverhalten.

Welches Forschungsergebnis hat Sie bei der Bachelorarbeit am meisten beeindruckt?

Dies waren ganz eindeutig die Heatmaps, in denen das Geschwindigkeits- und Beschleunigungsverhalten zweidimensional dargestellt wird. Hier hat die Verfasserin der Arbeit, Annika Ziegler, eine sehr beachtenswerte Zusammenfassung vorgelegt. Schon die Masterarbeit von Markus Binder, in der er Telematikdaten mit Hilfe von Hauptkomponentenanalyse bearbeitet hat, war für uns ein sehr interessanter und beeindruckender Ansatz. Durch die Heatmaps lassen sich die Ergebnisse nun sehr anschaulich visualisieren - die Profile der Fahrer können sichtbar gemacht werden.

Was könnte dazu beitragen, die Akzeptanz von Telematiktarifen zu steigern? Würde es helfen, wenn es durch neue Ansätze gelingt, das Fahrverhalten noch realistischer abzubilden?

Klassische Kfz-Tarifierung basiert auf statischen, zum Teil sozio-demographischen Komponenten. Das ist bei weitem nicht so realitätsnah wie ein Telematiktarif, aber es ist etabliert, akzeptiert und liefert eine statistisch signifikante Risikoeinschätzung. Für die Kunden würde ein neues System in dem Augenblick interessant werden, sobald sie damit Geld sparen könnten. Aber der Wettbewerb im Markt ist hoch und die Ertragslage knapp. Man kann nicht einen beliebigen Anteil der Kunden der Telematik zuordnen und hohe Nachlässe für gutes Fahrverhalten vergeben, sondern immer nur verhältnismäßig kleinen Kundengruppen. Telematiktarife können erst dann wirklich funktionieren, wenn sie eine breite Kundschaft haben. Dann könnte man gutes Fahrverhalten belohnen, aber auch schlechtes mit risikogerechten Prämien versehen. Wenn solch ein System etabliert wäre, würde die Telematik auch weitergehende, positive Folgen haben – etwa, dass Autofahrer*innen ihr eigenes Fahrverhalten besser reflektieren würden.

Was wünschen Sie dem Förderverein VM4K?

Ich wünsche zunächst der gesamten Branche, dass es ihr gelingt, junge, talentierte Mathematiker*innen für die Versicherung zu begeistern. Zu dieser wichtigen Aufgabe leistet VM4K einen großen und erfreulichen Beitrag. Ich wünsche dem Förderverein daher weiter gutes Gelingen! 

Lesen Sie auch das Interview mit Annika Ziegler, Verfasserin der Bachelorarbeit zur Telematik, der betreuenden Professorin Martina Brück von der Hochschule Koblenz/RheinAhrCampus Remagen und Carina Götzen von Meyerthole Siems Kohlruss.